Zu Beginn des 20. Jh. herrschte in Europa noch die Meinung, die
Mongolen besäßen keine eigene Literaturtradition. Tatsächlich wirkten
sich die ökologischen und demographischen Bedingungen der Mongolei
hemmend auf die Entwicklung der Literatur aus. Um
1920 lebten z.B. auf dem 1,565 Mill. km großen Territorium der heutigen
Mongol. Volksrepublik nur etwa 650.000 Einwohner. Die Bevölkerung war
weitestgehend analphabetisch. Ihre kulturellen Bedürfnisse und die
Möglichkeiten für ihre Befriedigung wurden durch das Nomadenleben
bestimmt, dessen Zwängen in mancher Hinsicht selbst die höchsten Kreise
des Feudaladels unterlagen. Das Leben in Jurten aber war wenig
geeignet, die vorhandenen literarischen Werte zu erhalten und einem
größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Unter diesen Bedingungen
lebte die alte mongol. Literatur am intensivsten in ihrer mündlichen
Tradition, die bis in die Gegenwart produktiv geblieben ist.
Von den alten Manuskripten und Blockdrucken überstanden nur wenige die
Schwernisse des Nomadenlebens und die fortwährenden kriegerischen
Auseinandersetzungen, die die mongol. Fürsten untereinander und mit den
Nachbarvölkern führten. Erst als 1921, kurz nach dem Sieg der
Volksrevolution, das Wissenschaftliche Komitee, Vorgänger der heutigen
Akademie der Wissenschaften der Mongolei, gegründet wurde, konnte mit der
planmäßigen Erfassung und Untersuchung des literarischen Erbes begonnen
werden. Es drang Licht ins Dunkel der Mongol. Literaturgeschichte, doch
sind noch längst nicht alle ihre Geheimnisse enthüllt.
Mit Sicherheit lässt sich heute sagen, dass die mongolische Literatur im 13. Jh.
entstand. Ihre Grundlage bildeten die mündlichen Überlieferungen der
Chalcha, der Oiraten, der Burjaten und anderer mongolischsprachiger
Völker und die von ihnen geprägte künstlerische Sprache. Von der
Vielzahl der nomadisierenden Stämme und Stammesverbände, die um diese
Zeit den zentralasiat. Raum bevölkerten, lebten die nördlichen
,,Waldvölker’’ noch unter ungesellschaftlichen Verhältnissen. Bei den
südlichen ,,Steppenvölkern’’ hingegen hatten sich bereits Klassen
herausgebildet. 1206 schloss Tschingis
Chaan (1162-1227) diese Völker zu einem frühfeudalen Staat
zusammen. Es gibt Hinweise darauf, dass unter seine Herrschaft die
uigur. Schrift, die vorher schon bei den Naiman in Gebrauch war, für
den amtlichen Schriftverkehr übernommen wurde. Dadurch wurden der
geistige und kulturelle Austausch der einzelnen mongol. Völker und
schließlich die Entwicklung der Feudalliteratur stimuliert.
Das älteste uns bekannte Schriftdenkmal der Mongolen ist die ,,Geheime Geschichte’’ (Mongyol-un niyuca tobciyan, "Монголын нууц
товчоо"). Diese Chronik besaß eine Ausstrahlkraft auf andere epische
und lyrische Genres, die sieben Jahrhunderte lang vorhielt. Diese
Wirkung aber verdankt sie letztlich ihrer engen Bindung zur
Volkspoesie, mit der sie dem ästhetischen Empfinden breitester
Bevölkerungskreise entgegenkam, obwohl sie ganz offensichtlich nur für
ein auserwähltes Leserpublikum gedacht war.
Neben der ,,Geheimem Geschichte’’ stellt ein auf Birkenrinde
geschriebenes Gedicht aus dem 13. oder frühen 14. Jh. eine besondere
Kostbarkeit alter mongol. Dichtung dar. Ein mongol. Soldat, der an der
Wolga den Tod gefunden hatte, nahm es mit in sein Grab, wo
man es 1930 entdeckte. Es sprich in kunstvollen Versen voller
Sensibilität von der Sehnsucht eines jungen Mannes nach seiner
heimatlichen Steppe und nach seiner Mutter. Andere Originale aus dem
13.-16. Jh. sind nicht bekannt. Im Bestand der Chroniken (Towtsch) des
17. und 18. Jh. wurde jedoch eine Reihe von Gedichten, Legenden und
relativ selbständigen Erzählungen überliefert, die aufgrund ihrer
sprachlichen Besonderheiten einer früheren Literaturperiode zugeordnet
werden können. Hierzu gehört die sog. Tschingis-Chaan-Dichtung aus dem
13./14. Jh. mit Tschingisjin bileg (Die Lehren des Tschingis), einer
Sammlung didaktischer Sprüche, Argasun chuurtschijn domog (Die Legende
vom Musikanten A.) und Gurwan dsuun tajtschuudyg darsny domog (Die
legende vom Sieg über die dreihundert Tajtschuud), aber auch Öntschin
chöwüünij schastir (Die Geschichte vom Waisenknaben) und Chojor
dsagalyn tuudsh (Die Geschichte von den beiden Grauschimmeln), die
wegen ihrer engen Beziehung zur Volkspoesie bemerkenswert sind. Dem 14.
Jh. entstammt allem Anschein nach das Gedicht Togontömör chaany
gemschil (Die Klage T. Khans). Seinen historischen
Hintergrund bildet die Ausweisung des letzten mongol. Kaisers der von
Chubilaj Khan begründeten Yuan-Dynastie (1271-1368) aus China.
Mit dem Zerfall des mongol. Weltreiches (seit Mitte des 14.Jh.)
flammten die Machtkämpfe der mongol. Fürsten wieder auf. Ihnen fiel der
größte teil der schriftlichen Dokumente aus dem 15. und 16. Jh. zum
Opfer, und wieder müssen die späteren Chroniken als Vermittler dienen.
Allein die Existenz solcher Werke wie des Altan towtsch des LUWSANDANDSAN ist ein Beweis dafür, dass die im 13. Jh. begründeten
Traditionen nicht abbrachen. Darüber hinaus vermitteln einige, von den
Chroniken aufgegriffene Legenden und Berichten in Stabreim
und Prosasprache einen Eindruck von der Literatur
jener Periode, von der man als der ,,Zeit der Finsternis’’ in der
mongol. Geschichte spricht. Von der berühmten Gemahlin des Fürsten
Manduul und späteren Gemahlin Batmönch Dajan Khans (etwa 1466-1504)
berichtet Mandchaj sezen chatny domog (Die Legende von der klugen Fürstin M.). Die großen
persönlichen Opfer, die diese Frau im Kampf um die Erhaltung der
Zentralgewalt brachte, ließ sie in die Geschichte und in die Literatur
de Mongolen eingehen. Von literarischem und historischem Interesse ist
auch Uwsch chuntajtdshijn tuudsh (Die Geschichte von U. Chuntajdsh).
Die Hintergrund dieser Erzählung bilden die Zwistigkeiten zwischen den
Chalcha und den Oiraten, die es den Mandschuren erleichterten, beide
Völker zu unterwerfen (1691-1755), nachdem sie sich 1636 bereits die
Südmongolei botmäßig gemacht hatten. Die Erzählungen von Mandchaj und
Uwsch sind repräsentativfür eine progressive, der Volksdichtung
gegenüber aufgeschlossene Richtung, die der Besorgnis über den Zerfall
des mongol. Staates und dem Wunsch der Bevölkerung nach Frieden
Ausdruck verleiht.
Im Kontext der alten mongol. Literatur nahm den Schamanendichtung einen
nicht unbedeutenden Platz ein. Beschwörungen, Anrufungen von Erd- und
Flußgeistern u.ä. sind auch in schriftlicher Form reichlich vertreten.
Als gegen Ende des 16. Jh. der Lamaismus Staatsreilgion wurde, verlor
die Schamanendichtung an Bedeutung. Ihre Ausdrucksformen und ihre
strengen Rhythmen lebten jedoch in der Volksdichtung weiter und fanden
auf diesem Wege schließlich auch Eingang in die moderne mongol. Lyrik.
In der Geschichte der mongol. Literatur nimmt der Übersetzungsliteratur
einen wichtigen Platz ein. Bereits unter Tschingis Chaan und während der
Yuan-Dynastie wurden Teile des Pancatantra, das Kävyädarsa (Poetik) des
Inders Dandin (7. Jh.), Lehren des Konfuzius und zahlreiche andere
philosophische, historische, literarische Werke anderer Völker
übersetzt. Während die Ideen Dandins wesentlichen Anteil an der
Ausprägung der ästhetischen Konzeption der mongol. Feudalliteratur
besaßen, blieb der Einfluss der chin. Literatur bis ins 18. Jh. gering.
Die mandschur. Qing-Dynastie in China (1641-1911) bediente sich in
ihrer Kolonialpolitik gegenüber der Mongolei der lamaistischen
Religion, die bald eine ausßerordentlichen Einfluß auf das gesamte
Geistesleben
der Mongolen gewann. Die Klöster wurden zu den eigentlichen Zentren der
Kultur. Damit erfuhr auch die mongol. Literatur einen neuen Aufchwung.
Die Tradition der Chronik lebte, mit mehr oder deutlichen
buddhistischen Vorzeichenversehen, wieder auf. Die
Übersetzungstätigkeit nahm erheblich zu. Sie richtete sich vornehmlich
auf Werke mit religiösem Inhalt. Bald begannen mongol. Geistliche, nach
ind. und tibet. Vorbildern auch eigene Heiligenbiographien u.ä. zu
verfassen. Religiöse Betrachtungen wurden zum Hauptzweck der Lyrik.
Allmählich entstand eine recht umfangreiche religiöse
Erbauungsliteratur, die sich z.T. der mongol. Und z.T. der tibet.
Sprache bediente. Bes. Populär wurden die sog. Höllenfahrtgeschichten
wie Tschojdshid daginy tuudsh (Die Geschichte von T. dagina) und Molon
tojny sudar (Die Sutra von M. tojn).
Die geistige Enge der Klöster behinderte jedoch die Entwicklung der
weltlichen Literatur. Erst im 18. und 19. Jh. kamen aus einer
religiönskritischen Strömung neue Impulse. Sie deuteten sich zuerst in
einem wieder erwachenden Interesse für die Volksdichtung an, das zur
Aufnahme weltlicher Märchen und legenden – vor allem aus dem Pancatantra – in die Kommentare zu buddhistischen Lehrschriften führte. Schließlich
klangen im 18. und 19 Jh. unter dem Eindruck der Volksaufstände im
benachbarten china auch in der mongol. Literatur unüberhörbare
sozialkritische Töne an. Vorerst zielten diese allerdings auf eine
moralische Besserungder herrschenden Klasse. Am Ender des 19. Jh.
flossendiese Tendenzen in einer demokratischen Strömung mit
kritisch-realistischer Orientierung zusammen, die den Charakter der
vorrevolutionären mongol. Literatur wesentlich mitbestimmte. Zu ihren
Repräsentanten gehören neben INDSHNASCH auch SCHAGDAR, der Spielmann
SANDAG (1. Hälfte 19. Jh.), R. CHISCHIGBAT (1849-1916), GELEGBALSAN,
DANDSANWANDSHIL, (ISCHDANDSANWANDSHIL, 1854-1907), Ch. GAMAL
(DUGARSÜREN, 1871-1932), DORDSH MEJREN (1878-1943)
u.a.
Ihr Wirken ist mit dem Aufkommen einiger neuer Genres, z.B. der
satirischen Üge (Worte) verbunden. Die Epik jedoch war nach wie vor der
Lyrik getrennt. Die Romane von W. INDSHNASCH blieben vorerst
Einzelerscheinungen. Das gleiche gilt für das ,,Singspiel vom
Mondkuckuck’’ (RAWDSHAA), das dennoch einen bedeutsamen Schritt auf dem
Wege zu einer mongol. Dramatik darstellte.
1911 befreite sich die Mongolei von der mandschur. Vorherrschaft. In
den darauffolgennden zehn Jahrender Autonomie wurde immer
offenkundiger, daß der mongl. Adel unfähig war, die Hoffnungen breiter
Bevölkerungsschichten zu erfüllen und das land vor dem politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Ruin zu bewahren. Angesichts der
allgemeinen Unzufriedenheit fielen die aus Rußland kommenden
revolutionären Ideen auf einen fruchtbaren Boden. 1921 kam es zur
Volksrevolution und 1924, nach dem Tode des letzten Bogd Gegeen, des
Oberhauptes der buddhistischen Religion in der Mongolei, zur Gründung
der Volksrepublik. Unter Führung der Mongol. Revolutionären Volkspartei
betrat das mongol. Volk den nichtkapitalistischen Weg zum Sozialismus.
Die Literatur, die sich im Verlauf dieser Entwicklung herausbildete,
knüpft zwaran die progressiven Traditionen der vorrevolutionären
Literatur an, zeichnet sich ihr gegenüber jedoch durch eine qualitativ
neue soziale und ideologische Basis und durch einen weitaus größeren,
ständig zunehmenden Realismusgehalt aus.
Bereits die ersten Dokumente der MRVP betonten, daß die neue Kultur die
Interessen der armen und mittleren Bevölkerungsschichten vertreten
müsse. In diesem Sinne übernahm die mongol. Literatur wichtige
propagandistische Aufgaben bei der Auseinandersetzung mit dm
Feudaladel. Dieser kämfte verbissen um seine letzten Machtpositionen.
Die angespannte Situation zwang die Schriftsteller zu einer
klaren politischen Haltung und einer ebenso klaren künstlerischen
Artikulation. Die Orientierung auf die noch größtenteils
analphabetische bevölkerung erforderte solche Formen, die den
ästhetischen Gewohnheiten und Bedürfnissen dieser Menschen
entgegenkamen. Deshalb, aber auch durch die Spezifik ihrer eigenen
künstlerischen Erfahrungen bedingt, suchten die revolutionären
Schriftsteller ihre Vorbilder zuerst in der Volksdichtung. Doch schon
in den 20er jahren zeigte sich eine starke Interesse für die vorher so
gut wie unbekannte europ. Literatur. Das Voril der sowj. Leteratur
spielte eine besondere Rolle bei der Ausprägung der ideologoschen und
ästhetischen Konzeption der mongol. Literatur. Gor’kij gab den mongol.
Literaturschaffenden den Rat, aus der europ. Literatur vor allem solche
Bücher zu übersetzen, ,,in denen das Prinzip der Aktivität m klarsten
ausgedrückt ist, der Anspannung des Denkens, das zur tätigen freiheit,
nicht zur Freiheit der Untätigkeit führt’’. Dieses ,,Prinzip der
Aktivität ’’ wurde zur schöpferischen Devise der mongol. Literatur
überhaupt. Neben Kernfragen der künstlerischen Methode berührte es auch
ein erzieherisches Problem: die sozialistische orientierung machte es
notwendig, das mongol. Volk möglichst bald aus den geistigen Zwängen
des lamaismus zu lösen, es aus der Passivität zu reißen und zu einem
aktiven Verhalten zum Leben und zur Gesellschaft zu erziehen. Es gehört
zu den größten Verdiensten revolultionären Schriftsteller, daß sie dem
weltfremden buddhistischen Ideal des frommen und genügsamen Menschen
das Bild des um seine Rechte kämpfenden, um Bildung ringenden
Aratenentgegenstellten und den ,,einfachen Mann’’ auf seine wirklichen
Probleme und Aufgaben orientieren.
Die ersten Aktivitäten der revolutionären Lyrik und Dramatik gingen von
einer Theater und Agitationsgruppe des Revolutionären Jugendverbandes
aus, die dem religiösen Tanzspiel (Zam) und dem konservativen chin.
Theater eine neue Kunst entgegensetzen wollte.
Zu ihren Mitgliedern gehören D. NAZAGDORDSH und S. BUYANNEMECH, die bis
Ende der 30er Jahre in allen Gattungen der mongol. Literatur maßgebend
blieben.
Die Wirkungsmöglichkeiten der Literatur wurden anfangs durch das
Analphabetentum, aber auch durch die äußest geringen Verlagskapazitäten
erschwert. Die Situation verbesserte sich 1929 durch die Gründung einer
von Partei und Regierung unterstützten Schriftstellerorganisation, der
anfangs 15 Mitglieder angehörten, darunter S. BUYANNEMECH als
Vorsitzender, Z.
DAMDINSÜREN,
B. RINTSCHEN und M: JADAMSÜREN (1904-1937). Noch im gleichen Jahr trat
die Organisation mit einer ersten kollektiven Arbeit, dem Almanach Uran
ugsjin tschuulgan (Sammlung schöner Worte), an die Öffentlichkeit.
Unter den Beiträgen befanden sich auch theoretische Abhandlungen, die
als Anfänge einer modernen Literaturwissenschaft gewertet werden
dürfen.
(geb. 1912)
Die 30er Jahre brachten vor allem in Lyrik und Dramatik, aber auch in
den kleinen epischen Genres – der Skizze, der Reportage, der Erzählung,
der lyrishen Miniatur – einen spürbaren Aufschwung. Der Tod
mehrerer talentierter junger Erzähler, darunter (1903-1938) und D.
NAZAGDORDSH,
S.BUYANNEMECH, M. JADAMSUREN, Sch. AJUUSCH, Sch.
SODNOMDORDSH, riß jedoch eine Lücke, die erst allmählich durch eine
neue Schriftstellergeneration mit E. OJUUN, D. SENGEE, Tsch. OIDOW,
Tsch. LODOIDAMBA, Tsch. TSCIMID, P. CHORLOO (geb. 1917), Sch.
DASCHDENDEW, D. DARDSHAA (geb. 1917) Dsh. LODOJ (geb. 1918),
Z. ULAMBAYAR (geb. 1912), B. BAAST (geb. 1921) u. a. geschlosen werden
konnte.
Die Epik fand nach Z. DAMDINSÜRENS ,,Verschmähtem Mädchen’’ (1929) und
den kleinen erzählungen von D. NAZAGDORDSH aus den 30er Jahren einen
neuen Höhepunkt mit D. SENGEES Novelle Ajuusch (1947). Im Gesamtkontext
der mongol. Literatur der 40er Jahre nahm die Epik jedoch einen sehr
bescheidenen Platz ein.
Während des zweiten Weltkrieges und in den Jahren unmittelbar danach
lebte – vor allem in der Dramatik – das Interesse an historischen
Stoffen wieder auf. Scharajgolyn gurwan chaan (Die drei
Scharajgol-Khane) von D. NAMDAG und Mandchaj sezen chatan (Die klüge
Fürstin M.) von B. BAAST und Z. ZEDENDSHAW zeigen im
Vergleich zur Dramatik 20er und 30er Jahre schon einen bedeutenden
Zuwachs an künstleischer Erfahrung. Auch das Märchenstück Dshargalyg
chüssen Mönchöö (M. der Glücksucher) und das Lustspiel Dalan chudaltsch (Der siebzigfache Lügner), von Tsch. OIDOW, deren Entstehung ebenfalls
in diese Zeit fällt, erlangten große Popularität.
1940 hatte der Parteitag der MRVP den Abschluß der
antifeudalistisch- demokratischen Etappe der Revolution und den Übergang
zur Schaffung der materiell-technischen Voraussetzungen des Sozialismus
konstatiert. Durch die Ereignisse des Krieges verzögert, trat 1948 in Ulaanbaatar
der 1. Mongol. Schriftstellerkongreß zusammen. Auf der Grundlage der
neuen gesellschaftlichen Zielsetzungen diskutierte er die Aufgaben der
Literatur für die nächsten Jahre. Eine Analyse der bisherigen
leistungen der neuen Literatur führte zur Herausarbeitung der
wichtigsten Merkmale ihrer Hauptmethode. Diese wurde als
,,revolutionärer Realismus’’ definiert. Sie galt als notwndige zwischen
Zwischenstufe zum sozialistischen Realismus und verhalf der mongol.
Literatur zu grundlegenden Realismuserfahrungen. Die Grenzen des
,,revolutionären Realismus’’ wurden in den 50er Jahren immer spürbarer.
Sie lagen u.a. in einer zu engen Auffassung solcher Begriffe wie
Realismus, Wahrheit, Parteilichkeit und Volksverbundenheit begründet
und aüßerten sich vor allem in einer stark vereinfachenden Darstellung
von Charakteren und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dazu kam eine
Neigung zur Schönfarberei, die sich unter dem Einfluß der ,,Theorie der
Konfliktlosigkeit’’ festigen konnte. Am deutlichsten trat diese Tendenz
in der Lyrik zutage, wo sie durch die Traditionen des Jerööl und
Magtaal noch begünstigt wurde. In den 60er und 70er Jahren konnten
diese Erscheinungen allmählich überwunden werden.
Zu dieser Zeit war das Analphabetentum im wesentlichen beseitigt. Ein
weltoffenes, gebildetes, kritisches Lesepublikum war herangewachsen.
Auch diese Tatsache zwang die Schriftsteller, sich von alten Klischees
zu lösen. Autoren wie Tsch. LODOIDAMBA, B. RINTSCHEN, S. UDWAL und der
junge S. ERDENE suchten bereits in der zweiten Hälfte der 50er Jahre
nach neuen Wege. Ihr Verdienst ist die Entdeckung der inneren Welt des
Menschen für die mongol. epische Literatur. In der Lyrik zeichneten
sich ähnliche Entwicklungen ab.
Romantrilogie ,,Morgenröte’’ und
In den 50er Jahren nahm auch das Interesse an Gegenwartsstoffen zu. Das
Bedürfnis, die sozialistische Gegenwart aus den historischen
Zusammenhängen heraus zu begreifen und künstlerisch darzustellen, ist
eine der Faktoren, die schließlich deutliche Veränderungen in der
Genrestruktur bewirkten. B. RINTSCHENS, Tsch. LODOIDAMBAS ,,Im Altaj’’ folgte zu Beginn der 60er eine ganze
Reihe von Romanen und größeren Erzählungen. Damit war der Durchbruch
zur großen entgültig vollzogen. Die neuen inhaltlichen und
gestalterischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten führten allmählich
fort von der äußeren Beschreibung des lebens, hin zu tieferen
sozialpsychologischen Analysen. Die Helden der Romane von Tsch.
LODOIDAMBA, D. NAMDAG, S. ERDENE, D. MJAGMAR, S. UDWAL, L. TÜDEW
überzeugen durch ihre schlichte Menschlichkeit, in der sich
gleichzeitig national, historisch und sozial Bedeutsames offenbart.
Während der Roman, anknüpfend an Traditionen der alten Literatur, ein
besonderes Interesse für herausragende Persönlichkeiten und bedeutende
Ereignisse zeigt, widerspiegelt die Erzählung in stärkerem Maße den
Alltag des mongol. Volkes in der Vielfalt seiner menschlichen Probleme.
Seit den 70er Jahren deutet sich eine Tendenz zu stärkeren
philosophischen Durchdringung an, ein Nachsinnen über das Wesen des
Menschen, über den Sinn des lebens und die Verantwortung des einzelnen
vor seiner Gesellschaft und vor der Menschheit.
Auch in der Lyrik und in der Dramatik wird seit den 60er Jahren eine
größere künstlerische und weltanschauliche Reife und gleichzeitig eine
beständig wachsende Vielfalt der Themen, der Genres und Formen
deutlich. Längst hat die Literatur der MVR auch außerhalb der
Landesgrenzen ihr Lesepublikum gefunden. Ihr humanistischen
Grundanliegen und ihre Erfahrungen beim Aufdecken von Allgemeingültigem
im Nationalen und Individuellen verhalfen ihr zu internationaler
Anerkennung. Aufmerksamkeit verdient sie nicht zuletzt auch deshalb,
weil sie den intersesanten Prozeß des Wachsens und Reifens eines
sozialistisch-relistischen Literatur mit unverkennbarem nationalem
Gepräge auf der Grundlage mittelalterlicher Traditionen
veranschaulicht.
(Renate Bauwe)
aus: BI-LEXIKON Ostasiatische Literaturen. VEB BIBLIOGRAPHISCHES INSTITUT LEIPZIG, 1985