Triptych: The
Last
Supper
– 1/3 by OtGO 2020–2021, acryl
on
canvas 215 x 300 cm
Maryna Magnin
Savoie, France – Octobre
2022
OtGO:
Triptych
The
Last Supper
--
The
original text in French --
-- The text in English --
Übersetzt
aus dem Französischen: Caroline Girod. Die
deutsche Übersetzung-Veröffentlichung am 19. November 2022 Hamburg
Wenn es meiner
bescheidenen Meinung nach einem Wort gibt, das die Arbeit des Künstlers
OtGO beschreiben könnte, dann wäre es das Wort Zauberer. Er hat
nämlich die unglaubliche Fähigkeit, seine Gemälde zum Leben zu
erwecken. Er bringt sie zur Welt, indem er sie erschafft, und lässt
sie dann vor den Augen des Betrachters wachsen und an Intensität
zunehmen. Nach und nach erwachen sie zum Leben und beseelen sich. Sie
fallen aus ihrem Rahmen, ergießen sich und erobern den Raum, und
hinterlassen dabei einen gleichzeitig süßen, bitteren und
rätselhaften Duft. Das Triptych: The Last Supper ist ein perfektes
Beispiel dafür.
Zunächst müssen wir die Gemälde aus der Ferne betrachten und sie
unterdessen auf uns wirken lassen. Bald haben wir das Gefühl, einer
wilden Party oder einem besonders farbenfrohen Karneval mitzuerleben.
Der Riesenkrake bewegt sich langsam, anmutig und leichtfüßig, wie von
einer großen Anzahl von Tänzern beseelt. Wenn man die Ohren spitzt und
in diese Welt eintaucht, kann man Musik hören: Jazz, ein paar
Klaviernoten, aber auch Schlaginstrumente. Dann sind es Pfiffe, das
Lachen von Kindern und Passanten und schließlich Applaus, die an unsere
Ohren dringen. Alle werden in einen berauschenden Walzer hineingezogen,
der keinen Anfang und kein Ende hat. Nur die Freude und der Rausch
bleiben. Warme Farben wie das Gelb und Rot kontrastieren mit dem Weiß,
Blau und Schwarz. Sie springen uns ins Auge und klammern sich an unser
verblüfftes Gesicht. Und schon sind wir verzaubert und auch wir werden
mit klopfendem Herzen in diese süße Atmosphäre des Festes und des
Glücks hineingezogen. Die Hitze macht sich bald bemerkbar, aber das
macht nichts, denn die Stimmung ist großartig.
Triptych: The Last Supper by OtGO | Inside the Studio:
Work in Progress | Photo by Anna Wyszomierska
Dennoch wenn wir
uns dem Bild nähern und unsere kleinen grauen Zellen verbinden, wie
ein gewisser Hercule Poirot sagen würde, fällt die Maske und die
Realität wird enthüllt. Dann beginnt sich das Puzzle
zusammenzusetzen, ein Puzzle, das viel düsterer und viel weniger
fröhlich ist. Die Musik ändert ihre Tonlage und etwas zerbricht
langsam in unserem Herzen, wie eine Glasscherbe. Es ist unmöglich, es
wieder zusammenzusetzen. Wir verstehen, dass wir uns nicht an
Äußerlichkeiten aufhalten dürfen, sondern tiefer in diese Gemälde
eintauchen müssen, um die Wahrheit zu entdecken. Die Details sprudeln
aus den Gemälden heraus und zwingen uns zu einer langen Betrachtung,
um die Antworten auf unsere Fragen zu finden. Die Klänge der Trommeln
und des Klaviers werden schnell durch den Lärm der Flammen abgelöst.
Das Lachen und der Applaus durch Stöhnen, Weinen und Flehen. Die
Szenerie ändert sich völlig: Wir sind nicht mehr Zeuge einer Party
oder eines farbenfrohen Karnevals. Nach einigen Minuten der
Kontemplation haben wir uns vom Himmel in die Hölle begeben. Die
Atmosphäre wird erstickend und aus Panik kämpfen unsere Augen
unermüdlich darum, etwas Positives, Fröhliches und Glückliches zu
finden. Die blutroten Augen des Oktopusses unterbrechen diesen Versuch
abrupt, der höchstwahrscheinlich zum Scheitern verurteilt ist. Diese
Kreatur breitet sich aus und nimmt in allen drei Gemälden einen
zentralen Platz ein. In The Last Supper 3 ähnelt die Kreatur einem
blutrünstigen Monster oder einem Terminator, leblos und gnadenlos, der
nur ein Ziel hat: zermalmen und töten. Daher beunruhigt ihn das Weinen
und Wehklagen der Menschen in keiner Weise und seine mächtigen
Tentakel sind bereit, seine Beute zu packen. So wird der Oktopus zum
idealen Symbol, um den Virus und seine Folgen, die über uns
hereingebrochen sind, bildlich darzustellen.
Für manche verkörpert der Krake die Geister der Hölle oder sogar die
Hölle selbst. Wie der Virus ist auch der Oktopus unter allen
Umständen lautlos. Er ist das Beispiel schlechthin für Anpassung und
seine Fähigkeit, unbemerkt zu bleiben, ist außergewöhnlich. Diese
blitzschnelle Anpassung an seine Umgebung erfolgt oft durch Mimikry und
Verwandlung. Wie ein Zauberer wechselt der Oktopus je nach Laune oder
Bedarf seine Farbe, indem er mit der Umgebung verschmilzt, oder geht
noch einen Schritt weiter, indem er seine Form verändert. Da sein
Körper kein Skelett hat, ist er zudem äußerst flexibel. Aus der Sicht
eines Menschen sind diese Fähigkeiten beeindruckend und erschreckend
zugleich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass genau diese Kreatur
ausgewählt wurde, um sowohl den monströsen Kraken, die konkrete Form
des absoluten Bösen, das sich auf dem Meeresboden verbirgt, als auch
das Virus in OtGOs Gemälden zu verkörpern. Unsichtbar und
hochansteckend, hat es den gesamten Planeten in Chaos, Isolation und
Trauer gestürzt. Wie der Oktopus hat sich auch das Virus angepasst und
Varianten hervorgebracht, die sogar bis heute weiter auftreten. Es hat
keinen Geruch, keine Farbe und vor allem kein Gesicht. Und was man
nicht sehen kann, wird seit jeher gefürchtet. Das Unbekannte, egal ob
positiv oder negativ, ist furchterregend. Wir haben keine Waffen, keine
Gebrauchsanweisung, die uns helfen könnte. Wir müssen unsere
Komfortzone verlassen, neu lernen zu leben und manchmal sogar zu
überleben, indem wir uns an unsere neue Umwelt anpassen.
detailansicht: The Last Supper
Um die Symbolik der
Krankheit zu verstärken, ist der Kopf des Kopffüßlers mit
menschlichen Schädeln und Viruspartikeln gefüllt. Letztere
entweichen, riesig oder in feinem Regen, bis sie die gesamte Leinwand
überschwemmen. Schließlich sind diese kleinen Flecken, die aus der
Ferne wie bunte Lichter oder fröhliche Konfettis aussahen, in
Wirklichkeit die Vertreter dieses stillen Todes. Aus der Ferne
betrachtet wird der Kopf des Kraken selbst zu einem riesigen
menschlichen Schädel. Letztendlich ist dieses Element nicht so
erstaunlich, da es der Mensch war, der dieses Chaos geschaffen hat oder
zumindest aktiv daran beteiligt war.
detailansicht: The Last Supper
Menschliche Schädel sind überall zu
finden. Sie liegen auf dem Boden, in Haufen oder verstreut, wie
traurige Vertreter eines menschlichen Lebens, dem die Luft ausgeht.
Gezwungen in der Dunkelheit umherzuirren, die Überlebenden verstehen
nur allzu gut, welches Schicksal ihnen bevorsteht. Die zusammengelegten
Schädel erinnern uns an die alten Zeiten, in denen die von einer Pest-
oder Choleraepidemie infizierten Körper gestapelt und dann verbrannt
oder schnell begraben wurden, um die noch lebenden Menschen zu
schützen. Während wir unsere sorgfältige Beobachtungsarbeit
fortsetzen, offenbaren die Gemälde unseren Augen die Anwesenheit
menschlicher Seelen. Gezwungen, ihren Körper und ihre irdische
Existenz zu verlassen, blicken sie traurig auf ihre Überreste, bevor
sie langsam ins Nichts verlaufen.
detailansicht: The Last Supper
Die Epidemie hat sie ohne Vorwarnung
aus dem Leben gerissen, wie ein Blitz, der mitten in einen klaren,
friedlichen Tag einschlägt. Sie haben kein Gesicht, keinen Körper und
keinen Namen mehr. Wie einst Ernest Hemingway so treffend formulierte,
"müssen wir uns daran gewöhnen: An den wichtigsten Wegkreuzungen
unseres Lebens gibt es keine Wegweiser". Nur ihre Silhouette, die fast
durchsichtig ist, bleibt noch eine Weile bestehen. Mann oder Frau, man
kann es nicht sagen. Im Angesicht des Nichts bleibt nichts von all dem
übrig.
detailansicht: The Last Supper
Den wenigen Menschen, die noch am
Leben sind, geht es nicht besser. Einige versuchen trotz alledem zu
fliehen und ihren Körper mit den Händen zu schützen. Eine Mutter mit
ihrem Kind auf dem Arm kämpft ums Überleben. Andere Frauen, die
schwanger zu sein scheinen, versuchen, das Leben zu retten, das in
ihnen heranwächst. Trotz des Unbehagens, das sich breit macht, und
trotz der Klagen der Gefolterten, können wir sie leider nicht retten.
Lediglich unser Blick kann sie streifen. Die orangefarbenen
Pinselstriche auf dem schwarzen Hintergrund der Gemälde verweisen uns
auf die Flammen und die extreme Hitze. Sehr schnell stellt sich in uns
das Gefühl ein, in einem Ofen oder einem Kamin zu stehen. Es ist kein
Ausweg in Sicht, kein geringster Fluchtweg.
Dennoch scheinen einige der Menschen auf den Gemälden weniger zu
leiden als die anderen. Viel größer und beleibter, fast auf
übernatürliche Weise, scheinen sie sich kaum darum zu kümmern, was
um sie herum geschieht. Am Sitzen, Liegen oder fast schwebend, drückt
ihr Blick völlige Gleichgültigkeit, ja sogar Verachtung für das
Schicksal ihrer Genossen aus, welche schreien, zappeln und schließlich
sterben. Ihre pausbäckigen Körper, die manchmal bis zur extremen
Fettleibigkeit getrieben sind, verweisen auf die Gemäldeserien von
Lucian Freud und klingen wie eine Hommage an die Arbeit des Künstlers.
Im Übrigen ist die Pose einiger Figuren leicht erkennbar und verweist
direkt auf Freuds Gemälde: "Naked man, back view" (1991-1992), "Naked
portrait with reflection" (1980) oder noch "Benefits Supervisor
Sleeping II" (1995). Die Körper dieser Menschen stehen hier für Gier,
Habsucht, Durst nach Macht und Geld. Sie brauchen mehr, immer mehr,
denn nur das zählt, nur das haben sie im Kopf wie besessen. Deshalb
wirken sie auch so abwesend, völlig weltfremd. Selbst wenn sie noch am
Leben sind, ist ihre Menschlichkeit verloren gegangen. Sie sind nur
noch leere Hüllen, gefühllose und isolierte Wesen.
detailansicht: The Last Supper
detailansicht: The Last Supper
Durch
wiederholte Exzesse hat die Menschheit ihre eigene Existenz in die
Zerstörung und ins Leid getrieben. Dies ist in OtGOs Gemälden sehr
deutlich zu sehen. Nur die Menschen leiden unter der Situation. Die
Affen hingegen schlemmen. Das Vorhandensein von Gabeln, Tellern und
Champagnergläsern macht deutlich, dass diese für die Menschheit
schreckliche Situation für die Tiere ein wahrer Segen ist. Die
Tentakel des Oktopusses werden zu Tischen und nichts kann ihre gute
Laune trüben. Sie heben ihre Gläser, als wollten sie anstoßen,
während sie die verängstigten und geschwächten Menschen verspotten.
Der von OtGO geschaffene Kontrast zwischen den beiden Situationen ist
erschütternd und bringt uns als Zuschauer dazu, der Realität ins Auge
zu sehen. So werden wir zu Zeugen unseres kollektiven Selbstmords, denn
unsere Augen haben die Leinwände gestreift. Einige Zweibeiner, die wie
Könige gekrönt sind, scheinen diese ganze kleine Feier zu leiten.
Wenn bei einigen der Kelch hochgeht, sehen andere ihren Kopf fallen.
detailansicht: The Last Supper
Noch grausamer als die feiernden
Primaten sind die riesigen Gorillas, die diese Szene noch brutaler
machen, indem sie sie in einen Ort des Krieges und der Verwüstung
verwandeln: Größer als die anderen, mit übergroßen Genitalien und
einem Gewehr in der Hand, mustern sie die wenigen noch lebenden
Menschen aufmerksam. Das Aussehen der letzteren, die komplett nackt und
ihrem Schicksal überlassen sind, verweist uns auf die Schrecken, die
die Menschheit sich selbst und dem Tierleben im Laufe der Geschichte
zugefügt hat. Die Folterknechte, auf rotem Hintergrund mit
Heiligenschein über ihrem Kopf gemalt, scheinen ein heiliges Gewand
anzuziehen, während sie kriminelle Seelen bestrafen. Wie in Pierre de
Marivaux' Sklaveninsel (L’île des Esclaves) wurden die Herren zu
Sklaven und die Sklaven zu den neuen Herren. Anders als in Marivaux'
Buch ist jedoch keine Vergebung möglich. Die Triebe und die Gewalt
haben über die Vernunft und die Barmherzigkeit gesiegt.
detailansicht: The Last Supper
Ein weiteres wichtiges Element in den Gemälden ist das Geld.
Normalerweise für den Menschen so wertvoll, wird es hier, ebenso wie
die Schädel, in riesigen Haufen aufgehäuft und praktisch vergessen.
Es hat hier keinen Nutzen und wird wie ein belangloses Stück Plastik
vernachlässigt. Dieses Geld, das von Menschen für Menschen
hergestellt wurde, kann sie nicht vor einer unsichtbaren und stillen
Bedrohung retten. Als perfektes Beispiel für den Niedergang der
Konsumgesellschaft, die alles, was glänzt, verherrlicht und hochhebt,
offenbart das Geld hier seine dunkle Seite und erscheint
beschämenderweise ineffektiv. Im tiefsten Chaos, wenn das Überleben
der Menschheit auf dem Spiel steht, wird es wieder zu einer
lächerlichen Belanglosigkeit. Seine Kostbarkeit ist nur den Menschen
bekannt. Genauso wie Banknoten, die während eines großen Börsencrashs
auf ihren ursprünglichen Papierstatus reduziert werden, werden auch
Goldmünzen auf Metall reduziert. Aus Rache oder vielleicht auch aus
Spott haben kleine rote Äffchen ihren Spaß daran, die Überlebenden in
den Goldhaufen zu werfen, um ihnen somit eine bittere Lektion zu
erteilen. So wie Midas, der dazu verurteilt war, alles, was er
berührte, in Gold zu verwandeln, ertrinken die Menschen in dem Gold,
für welches sie früher zu jedem Opfer bereit gewesen wären.
detailansicht: The Last Supper
Wenn
man die drei Gemälde nacheinander betrachtet, kann ein neuer Eindruck
entstehen: der Eindruck, ein und dasselbe Gemälde vor Augen zu haben,
das erst im Profil und dann von vorne gemalt wurde. Die Kraken in der
Mitte der drei Gemälde sind dann eine und dieselbe Kreatur, obwohl
sich die Form der Tentakel zwischen den Gemälden ändert. Dies lässt
sich jedoch dadurch erklären, dass OtGOs Werke häufig die Idee der
Bewegung darstellen. Für diese titanische Arbeit, die äußerste
Sorgfalt erfordert, verwendete OtGO die gleichen Techniken wie für die
Thangkas, diese kleinen farbigen Gemälde, die mehrere Gottheiten oder
Buddhas darstellen. Diese meditationsähnliche Arbeit erfordert eine
hohe Konzentration sowie ein völliges Loslassen der Geschehnisse in
der Außenwelt.
Schlussendlich trägt dieses Triptych seinen Namen zu Recht. Dieses
Abendessen könnte das letzte sein, sowohl für die Menschheit als auch
für die Affen am Tisch, die den Ursprung der Menschen auf der Erde
symbolisieren. In einer Welt, die sich als immer mehr kontrolliert
ausgibt, zeigt uns die Episode des Corona-Virus, dass wir nur die
Herren unseres Herzens sind. Da liegt unser Erbe und der Kern unserer
Erlösung. Die Natur alarmiert uns, aber wir bleiben still, blind und
stumm. Letztendlich ist es unmöglich, jemanden zu wecken, der nur so
tut, als würde er schlafen. Aber wer weiß, die Hoffnung stirbt zuletzt.