Pressemitteilung:
Otgonbayar Ershuu – WHITE Mit
der Ausstellung White
präsentiert die Galerie Peter Zimmermann zum zweiten Mal Arbeiten des
1981 in Ulan Bator/Mongolei geborenen Künstlers Otgonbayar Ershuu (OtGO).
Otgo
studierte in den 90er Jahren in Ulan Bator traditionelle mongolische
Malerei. Sein Schwerpunkt lag auf Maltechniken und Ikonografien, die in
der Mongolei durch das seit Jahrtausenden bestehende Nomadentum stark
beeinflusst wurden. Insbesondere die Miniaturmalerei, die in der
traditionellen mongolischen Kunst eine wichtige Rolle einnimmt, hat bis
heute großen Einfluss auf sein Schaffen.
Mit Talent und viel
Ausdauer brachte OtGO im Laufe der letzten Jahre einen völlig
eigenständigen Stil hervor, der ihn bis über die Grenzen seines Landes
heraus zu einem der derzeit wichtigsten zeitgenössischen Maler der
Mongolei machte. Sein Schaffen erinnert an das Werk des mongolischen
Grafikers Baldugiyn ‚Marzan’ Sharav (1869-1939), der in seinem
bekanntesten Werk One
day of Mongolia
(1912/13) das Alltagsleben in der Mongolei darstellt. Beide vereint das
effektvolle miniaturisierende Erzeugen von Bildern mit wenig Raumtiefe.
Mongol Zurag
nennt sich dieser außergewöhnliche Malstil, den Baldugiyn Sharav
maßgeblich kreierte.
Aus
der Distanz beeindrucken OtGO's Gemälde durch rhythmische
Bewegungsmuster, die sich über die gesamte Bildfläche ziehen. Flächen
und Konturen schieben sich zeitweise nach vorne, andere treten in den
Hintergrund. Erst aus der Nähe wird klar, was hier in Wirklichkeit zu
sehen ist: Tierwelten, Erotika und Paradieslandschaften – detaillierte
Szenerien mit völlig eigenständiger Bedeutung.
Im Jahr 2004 erhielt OtGO die Auszeichnung zum Best Mongolian National Talent.
2015 gewann er den Grand Prix der International Biennale of Painting in
Chisinau,
Moldawien. Seit 2005 lebt er als freischaffender Künstler in Berlin.
Mit der Miniaturmalerei geht er weiterhin konsequent seiner großen
Leidenschaft nach und führt seinen eigenen unverkennbaren Stil fort.
Der
Ausstellungstitel White bezieht sich auf das gleichnamige großformatige
Triptychon, das erstmalig in dieser Ausstellung präsentiert wird, sowie
weiteren, vornehmlich in Weißtönen gehaltenen Leinwänden. Jedes Werk
zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie es dem Künstler gelungen ist, die
traditionelle Miniaturmalerei in einen zeitgenössischen Kontext zu
übertragen.
Vernissage: Freitag, 12. Juni 2015, 19.00-21.00 Uhr.
Der Künstler ist anwesend.
Zur Begrüßung spricht Seine Exzellenz Herr Bolor Tsolmon, Botschafter
der Mongolei.
Einführung in die Ausstellung: Dr. Ulrike Lorenz, Direktorin der
Kunshalle Mannheim
Ausstellungsdauer:
13.6.-25.7.2015
Öffnungszeiten der Galerie: Dienstag-Freitag 12.30-18.00 Uhr,
Samstag 11.00-14.00 Uhr sowie nach Vereinbarung
Dr. Ulrike Lorenz Ershuu Otgonbayar – WHITE
Eröffnung Galerie Peter Zimmermann, 12.6.2015
Der Gang über Grenzen, ein Wechsel der Kulturen verheißt
Freiheit ebenso wie Gefahr. Wer die weglose Wildnis zwischen zwei
Welten durchdringen will, tut dies auf eigenes Risiko. Er ist vor
Überraschungen und Täuschungen nicht sicher. Jeder Schritt kann ein
Scheitern sein oder die Chance, zu neuen Horizonten und Einsichten
vorzustoßen. Und dies gilt immer für beide Seiten, in diesem Fall für
den Künstler und den Betrachter seiner Bilder.
Wir stehen zwischen Leinwänden, die zu Landschaften werden. Fremde und
doch seltsam vertraute Welten tun sich vor unseren Augen auf.
Horizontlose Wildnisse, in denen sich geheimnisvolles Leben entfaltet.
Figurenreiches Gewimmel, eingewoben in ein dichtes Gefüge aus sich
mehrfach überlagernden Farbspuren.
Was von fern wie eine überraschend lebendige Wiedergeburt informeller
Strukturen wirkt, erweist sich beim Näherkommen als löchriger Text auf
der Höhe postmoderner Ironie und beim Herantreten an die Oberflächen
als ein graphisch ausgeklügeltes Gewebe comic-artiger Figurationen in
paradiesischer Unschuld und heiligem Ernst, also ohne jeden Hang zu
Satire und Gegenwart.
Was wir hier sehen, ist im wahrsten Sinne des Wortes: vielschichtig.
Wir sehen: ein lasierendes Aufeinanderstapeln abstrakter Farbverläufe
einerseits und ein flächenhaftes Verknoten, Verwirbeln und Vernetzen
feinziselierter, schablonenhafter Mensch-Tier-Agglomerationen
andererseits. Und wir sehen: das virtuose Ineinanderschieben dieser
beiden unvermischten und perspektivlosen Ebenen der Bildgestaltung –
weit jenseits von Wahrnehmungskonventionen, die uns vertraut sind.
Abstraktion und Figuration lösen sich nicht auf, sondern entfalten -
unvereint - ihren vollen Antagonismus.
Aber statt, dass die Bildwelten explodieren und zerfallen, entspringt
aus dem auf der Leinwand gebändigten Widerspruch ein unerwartetes, nie
gesehenes Großornament: visuell flirrend, ikonografisch ambivalent.
Faszinierend wirkt die ostentative Widersprüchlichkeit zwischen dem
wuchernden Gestaltchaos und einer obsessiven Systematik.
Kurzum: Was wir sehen, entzieht sich dem eindimensionalen Zugriff von
Beschreibung und Interpretation. Vorsicht also beim Betreten eines
unbekannten Terrains, das zu Recht Neugier weckt.
Nur so viel lässt sich am Beginn unserer Reise ins Unbekannte sagen:
Diese überraschenden Bilder sind HYBRIDE. Sie markieren einen
unbestimmten Ort kultureller Überschneidung. Die Soziologie definiert
Hybridität als ein Phänomen, das in Situationen auftritt, in denen
antagonistische Denkinhalte und unvereinbare Logiken aus
unterschiedlichen kulturellen, sozialen oder religiösen Lebenswelten zu
neuen Handlungs- und Denkmustern zusammengesetzt werden. Vorzugsweise
in diesen Situationen entsteht kulturelle Dynamik. Und - füge ich hinzu
- in einer solchen Konstellation entsteht die Chance zu echter
Erneuerung.
Ershuu Otgonbayar - der sich als Künstler selbst OtGO nennt -
wurde am 18. Januar 1981 am Rande Ulaanbataars, der Hauptstadt der
Mongolei, als sechster Sohn des einfachen Arbeiters Erschüü geboren.
Zwischen Zentral-, Nord- und Ostasien gelegen, ist das Steppen- und
Halbwüstenland fast fünfmal so groß wie Deutschland und mit 3 Millionen
Einwohnern der am dünnsten besiedelte unabhängige Staat der Welt.
Jahrtausendelang lebten hier Nomaden, die Dschingis Khan Ende des 12.
Jahrhunderts für kurze 70 Jahre zu einem Weltreich bündelte. Seitdem
steht das Land unter dem geistigen Einfluss des Buddhismus und
Lamaismus, alte Religionen die selbstverständlich die - nach der
Sowjetunion zweitälteste - sozialistische Volksrepublik überlebten.
Der Maler OtGO wuchs mit sieben Geschwistern und einem Adoptivbruder am
anderen Ende der Welt auf. Er zeigte früh seine künstlerische Begabung
und studierte in den 1990er Jahren Malerei an der Kunsthochschule in
Ulaanbataar. Danach widmete er sich sechs Jahre lang dem Selbststudium
der traditionellen mongolischen Miniaturmalerei und arbeitete zeitweise
als Restaurator. Und er machte sich auf den Weg zu den Quellen: zwei
Jahre nomadisierte er durch seine Heimat, reiste zu Fuß und zu Pferd,
mit Schiff und Flugzeug durch das ganze Land, in die verstecktesten
Winkeln, zu Dörfern und Klöstern. Er traf auf die unterschiedlichsten
Menschen und lebte mit seinen Lehrern zusammen. Seine Liebe zum Land
und zur Religion seiner Väter wurzelt in dieser Zeit.
OtGO eignete sich die Techniken, Ikonografien und spirituellen
Hintergründe der mongolischen Miniatur-Malerei in den
buddhistisch-lamaistischen Klöstern im traditionellen direkten
Lehrer-Schüler-Verhältnis an und begann, alle Malutensilien selbst
herzustellen. Er wurde ein Meister in der Thangka-Malerei, die für ihn
mehr Philosophie, denn Handwerk ist. Ein Thangka ist ein Rollbild des
tantrischen Buddhismus (Lamaismus). Es wird zur Meditation in Tempeln
oder Hausaltären aufgehängt und bei Prozessionen mitgeführt.
OtGO malte mit feinsten Haarpinseln ohne optischen Hilfsmittel auf
winzigen diagroßen Formaten (6 x 7 cm) Hunderte von Buddhas,
Bodhisattvas und Schutzgottheiten: Einzelfigurationen von filigranster
Ornamentik. Seine geheimnisvollen Schwarz-grundierungen sind aus Ruß
und Milchschnaps angemischt, die Farben bestehen aus mineralischen und
pflanzlichen Pigmenten, gebunden mit Leim aus Yakhaut.
OtGO erfindet sich als Künstler innerhalb eines definierten Kanons neu.
Malerei wird für ihn zur Meditation, ohne konkrete religiöse
Intentionen. Er arbeitet im spirituellen Geborgensein der Vorstellung,
dass die Energie durch die lebendige Gottheit auf ihn als Werkzeug
übergeht. "Tangkamalerei bedeutet, dass der Geist malt, nicht die
Hände, wie Meditation schenkt sie neue Kraft und Energie.“ Wenn der
Maler erst ganz am Schluss den Gesichtern seiner heiligen Figuren Augen
gibt, erwacht die Gottheit zum Leben.
Die wichtigste Grundlage für diese Malerei ist das natürliche Licht. In
der Mongolei scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne. So wurde
Deutschland zur Herausforderung. Denn Otgonbayar siedelte
nach staatlichen Auszeichnungen und Ausstellungen in aller Welt 2005
nach Berlin um und fing 2007 noch einmal ein Kunststudium an, diesmal
im Institut für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin.
Er schloss es 2010 mit dem Master of Arts ab.
Der Künstler erwarb auf diese Weise nicht nur die Kenntnis über
Techniken, Ikonografien und das Selbstverständnis westeuropäischer
Kunstgeschichte und Gegenwartskunst, er tauchte auch ein in die
aktuellen Diskurse um Malerei und Medien, Moderne und Postmoderne. So
ging er über Grenzen in eine neue Welt und erweiterte seine Horizonte,
ohne die frühen Prägungen zu verdrängen. OtGO arbeitet in Deutschland
nicht nur als Maler, sondern engagiert sich auch stark im
künstlerischen und geistigen Austausch zwischen Europa und seiner
Heimat. Mit seiner Galerie Zurag in Berlin bietet er einen künstlerisch
geprägten Schutzraum an, an dem sich Ost und West treffen, wo die
Wahrnehmung mongolischer Kultur ermöglicht wird und in dem auch der
mongolische Ministerpräsident schon einmal absteigt.
In Deutschland fehlt das Licht, "der Himmel ist fast immer dunkel".
Doch Deutschland wird nun der Ort, an dem OtGO in den fünf Jahren nach
dem zweiten Studienabschluss seinen originären Hybridstil entwickelte,
in dem nichts vermischt und aufgelöst wird, sondern sich die
kulturellen Prägungen zweier Welten gegenüberstehen: im Bild und als
Bild bezwungen.
OtGO bringt die technische Virtuosität und die ikonografischen
Tradition der mongolischen Miniaturmalerei, die er innerhalb seines
heimatlichen Kulturkreises bereits zeitgenössisch interpretiert hat,
ein in die westliche Tradition einer auf die eigenen Bildmittel
bezogenen, selbstreferentiellen Kunst, die seit Manet und dem
Impressionismus den Weg in die Abstraktion gegangen ist. Mit der
Durchdringung dieser zwei entgegengesetzten Bildbegriffe gestaltet OtGO
eine Synthese. Seine Malerei erweist sich als ein eigenständiges
visuelles Phänomen. Die bewusst herbeigeführte und künstlerisch auf
hohem Niveau bewältigte Situation der Hybridität in der Überlagerung
zweier Kulturen wird zum Einfallstor für Neues.
Zu beobachten ist, dass die aktuelle Entwicklung OtGO's zu größerer
ikonografischer Freiheit und Abstraktion geht. Das graphische
Wimmel-Drama, die Kamasutra-Erotik wird zugunsten eines beruhigten
Figurenkosmos in paradiesischer Verschlingung zurückgenommen. Die
malerische Textur tritt als gleichberechtigter Partner immer stärker in
die Bildfindung ein.
Nach einer Phase intensiver zeitgeistiger Neon-Farbigkeit, weisen im
Moment pastellhafte Grundtöne stärker auf die Fläche zurück. Dafür
nehmen die malerischen Strukturen gestische Züge und experimentellen
Charakter an. Die einzelnen Bildelemente lösen sich mehr und mehr auf
und bilden hybride Mischformen, die sich in Wellenbewegungen und
Meta-Mustern über die homogeneren Bildoberflächen ziehen.
So stehen wir heute vor expressiver Acrylmalerei mit filigranen
Tuschzeichnungen auf Baumwoll-Leinwänden. Zebraschwärme, von
Frauenkörpern in Streifenkostümen begleitet, entfalten einen op-artigen
Wirbel. Pinguinkolonien scheinen in informellen Texturen auf, um im
eisblauen Orkus zu verlöschen. Unüberschaubare Pferdeherden galoppieren
über türkisfarbene Steppen einem Abend der Existenz entgegen, wunderbar
im Licht des letzten Ausstellungsraums changierend. Im titelgebenden
Triptychon „white“ entdecken Sie zwischen schneeigen Farbgittern ein
ornamentales Gewimmel nackter Menschenkörper und mongolischer Tierwelt
mit Gazellen und Wildziegen, Schneehasen und Schneeleoparden. Zu Recht
zwergenhaft wirkt der Mensch im Universum der Bilder. Die
traditionsgemäß ohne Lupe gemalten Figurationen fügen sich in der
Fernwirkung zum textilen Gewebe zusammen. In diesem Kosmos ist alles
einer unablässig transformierenden Bewegung unterworfen, die wie der
Atem eines Gottes durch die Elemente geht.
Ershuu Otgonbayar hat sich zu einem selbstbewussten
zeitgenössischen Künstler im westlichen Kontext entwickelt, der die
Kunstentwicklung seiner Heimat von hier aus inspiriert. Mit Recht kann
man ihn daher wohl als bedeutendsten mongolischen Künstler der
Gegenwart bezeichnen. Doch aus meiner Sicht ist er mehr: Vertreter
einer internationalen Malergeneration im Zeitalter der
Post-Postmoderne. Er sorgt innerhalb der zeitgenössischen nachmedialen
Malerei für einen Erneuerungsimpuls. Ein Impuls, der die Ebenen von
Bild und Bedeutung beim Ineinanderschieben durchlässig macht. Wir
erleben eine malerische Sprache, die komplex, expressiv und originär
ist - ein Oeuvre, das uns bezaubert und verblüfft.