Mongolische Literatur

Die Menschen, die diese heiligen Bäume verehrten, glaubten u.a., dass die Erdgöttin darin ihren Sitz habe. In den "Schamanengeschichten aus Sibirien" gibt es eine sehr schöne Erzählung über den Recken Ürüng-Uolan. Darin wird erzählt, wie eine "Geisterherrin", die in einem solchen Baum wohnt, den Recken so lange an ihrer Brust nährt, bis er genug Kraft hat, die Abenteuer zu bestehen, die auf ihn warten. Der Weltenbaum ist auch bei einigen nordamerikanischen Indianerstämmen bekannt. Möglicherweise brachten ihre Vorfahren diese Vorstellung mit, als sie vor Jahrtausenden aus Asien auswanderten. In einer alten Delawarenlegende steht dieser Baum auf dem Rücken einer Schildkröte, die die Erde symbolisiert. An den Zweigen des Baumes hängen, als seine Früchte, die ersten Menschen. In dieser und einer ähnlichen Vorstellung, der zufolge in den Ästen eines großen Baumes die Seelen der noch ungeborenen Kinder wie Vögel nisten, wird die Bedeutung des Weltenbaumes als Schicksals- oder Lebensbaum besonders deutlich.
Ähnliche Mythen finden wir auch bei zentralasiatischen und sibirischen Völkern. Allerdings scheint dort der Glaube im Vordergrund zu stehen, dass es nicht gewöhnliche Kinder sind, sondern die Seelen der künftigen Schamanen, die auf dem Baum in Vogelnestern leben und dort von ihrer Urmutter erzogen und auf ihre Aufgaben als Schamane vorbereitet werden.

Seelenvorstellungen

Die Vorstellungen von der Seele, vom Tod und vom Leben nach dem Tode bilden ein wichtiges Kapitel der schamanistischen Weltanschauung, man kann vielleicht sogar sagen, sie bilden ihr Kernstück. Viele Besonderheiten der schamanistischen Praxis, vor allem die soziale Funktion des Schamanismus und der Charakter seines rituellen Systems lassen sich nur aus diesen Vorstellungen heraus erklären.
Der Schamanismus geht im allgemeinen davon aus, dass jeder Mensch eine unsterbliche Seele (süns) hat, die unsichtbar und von gasförmiger Konsistenz ist. Sie hält sich im Körper auf, kann ihn aber auch verlassen, um sich auf der Erde und in der Welt der Geister und Dämonen tummeln und dann wieder an ihren Platz zurückzukehren. Sie hat auch menschliche Eigenschaften: sie kann Hunger haben, sich freuen, klug, verspielt oder boshaft sein. Diese Eigenschaften hängen von der
Persönlichkeit ihres Trägers und von seinen Lebensumständen ab. So gesehen, ist die Seele ist in gewissem Sinne ein Doppelgänger des Menschen.(32)
Man glaubt, dass sich die Seele nach dem Tode eines Menschen noch etwa 3 Tage in der Nähe des Leichnams aufhält, um dann ihr eigenes Dasein zu führen. Der Schamane hat dafür zu sorgen, dass die Seele des Verstorbenen nicht von Heimweh, Rachegedanken oder anderen Gefühlen geplagt wird und die Zurückgebliebenen ängstigt. Aus diesem Grunde wurden einem hochstehenden Toten früher reichliche Grabbeigaben mitgegeben: sein Lieblingspferd, seine Waffen, Speise und Trank, sogar Frauen und Diener mussten ihm in den Tod folgen.
Aus dem mongolischen Mittelalter sind Vorfälle bekannt, wo in Herrscherfamilien Kinder gestorben sind und die Mütter daraufhin veranlassten, dass Dutzende oder gar Hunderte fremder Kinder getötet wurden, damit sie die Trauer nicht allein tragen müssten und das Kind nach seinem Tode Gesellschaft hätte. Mit der Ausbreitung des Buddhismus wurden, wie erwähnt, solche Menschenopfer verboten. Bei manchen ethnischen Gruppen herrschte die Vorstellung, dass der Mensch drei Seelen habe, die sich beim Tode unterschiedlich verhalten. (Darauf kann hier nicht

(32) vgl. T. M. Michajlov, a.a.O. 38 ff.

 Schamanismus bei den Mongolen 14 Schamanismus bei den Mongolen

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