Mongolische Literatur

aus und warf den Antilopenfuß einige Male zwischen die Anwesenden. Den halbtoten Mann schlug sie mehrere Male kräftig mit dem Antilopenfuß. Schließlich sah es aus, als ob sie die Geister, die sie endlich besiegt hatte, zur offenen Jurtentür hinaustrieb. Dann brach sie zusammen. Zu aller Erstaunen aber ging es dem Kranken am nächsten Tag schon deutlich besser.

Bei leichten Erkrankungen halfen sich die Mongolen im allgemeinen selbst. Die einschlägige Literatur berichtet über recht seltsame Behandlungsmethoden, die zum großen Teil auf Aberglaube beruhen. In schweren Fällen aber wandte man sich an einen Schamanen. Die Schamanen beherrschten – neben der Magie – zahlreiche Heilpraktiken, die auf den Erfahrungen der Naturheilkunde beruhen und auch Uneingeweihten durchaus vernünftig erscheinen können.
Das gilt z.B. für die Behandlung von Gliederreißen, Geschwüren u.dgl. durch Erwärmen der kranken Stelle mit heißen Steinen, durch Einreiben mit heißer Sahne oder dadurch, dass die kranke Stelle mit Ruten geschlagen wurde, die zu diesem Zweck in einen heißen Kräuteraufguss getaucht wurden. Damit der Kranke richtig ins Schwitzen kam, wurde ihm zusätzlich auch noch Alkohol eingeflößt. Anschließend wurde er in ein feuchtes Tuch gehüllt und warm zugedeckt. Während der Prozedur versetzte sich der Schamane in Extase und sprach bestimmte Zauberformeln, die als eine Art Psychotherapie die Behandlung unterstützten. Diese Art Therapie wird als "Stein-", "Wasser-" oder "Sahnezauber" bezeichnet.
Behandlung von Typhus: Auch Typhus gehörte zu den Krankheiten, bei denen der Schamane helfen musste. Bei den Burjaten war eine Heilmethode bekannt, die in leichten Abwandlungen auch bei anderen ethnischen Gruppen und auch bei Erkrankungen der Leber, der Lunge und der Nieren angewandt wurde. Zunächst wurde ein Opfertier geschlachtet, meistens ein Schaf oder eine Ziege. Die Innereien legte man dem Kranken nach einem bestimmten Ritual auf den nackten Körper: Herz auf Herz, Leber auf Leber, Lunge auf Lunge usw. Den Mageninhalt breitete man auf dem Bauch aus, dann wurde der Kranke in das frische Fell des Opfertieres gewickelt und musste einige Stunden schwitzen.
Auch die begleitenden Maßnahmen haben durchaus einen rationalen Kern. Man gin davon aus, dass die Krankheit deshalb ausgebrochen sei, weil Typhusgeister (ezen) sich in diesem Ail aufhielten Menschenopfer forderten. Diese „Typhus-Herren“ konnte nur ein Schamane sehen. Er teilte den Bewohnern des Ails mit, dass soundsoviel Typhus- Herren in soundsoviel Kutschen gekommen seien und sich bei der Familie des Kranken einquartiert haben. Sie hätten, wie es aussah, vor, auch die Nachbarn zu besuchen. Um sich vor unerwünschtem Besuch zu schützen, sollten die Nachbarn alles vermeiden, was die Typhus-Herren auf sie aufmerksam machen könnte. Vor allem sollten sie sich ganz still verhalten, die betroffene Familie möglichst nicht aufsuchen oder zumindest nichts Essbares von ihnen annehmen. Auch keinen Lama sollten sie herbeirufen, weil er mit seinen lauten Gebeten die Geister aufmerksam machen würde; die Hunde dürften nicht bellen, man durfte in der Nähe nicht mit dem Gewehr schießen, draußen kein größeres Feuer machen und nichts ins Feuer werfen, was laut knistert.
Früher soll es vorgekommen sein, dass die Leute versucht haben, eine Person aus einem möglichst weit entfernten Lager mit der Krankheit anzustecken. Sie hofften, dass die Typhusgeister dann den liebgewonnenen Ort verlassen und zu dem neuen Kranken übersiedeln würden.(38)

(38) P. P. Batorov: Materialy po narodnoj medicine Alarskich burjat. In: Otdel'nyj otpusk is "Burjatovedčeskij sbornik" Burjatmongol'skoj sekcii BSORGO. Wyp. 1, 6-14.

 Schamanismus bei den Mongolen 18

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